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Svenja Christen

Prof. Jutta Rump: ‚Viele haben Jobsharing nie in der Realität eines Unternehmens über längere

Aktualisiert: vor 1 Tag

„Jobsharing ist ein Nischenphänomen“, „…wird kaum praktiziert“ titelte die DPA im Frühjahr 2017. Und daraufhin auch diverse Zeitungen: überregional, digital, lokal. Das könnte einen demotivieren, wenn man just wenige Monate vorher ein Unternehmen namens the jobsharing hub gegründet hat. Waren wir aber nicht – im Gegenteil. Schließlich sind wir angetreten, Jobsharing aus der Nische rauszuholen und wissen nur allzu gut, dass man dafür Kritik am Modell ernst nehmen muss – mit Phantasien von der schönen, neuen Arbeitswelt hilft man im Hier und Jetzt kaum jemandem weiter. Schlimmer noch: geht Jobsharing dann schief, fühlen sich alle Skeptiker bestätigt.

Nur: das Fazit der Autorin, „angesichts der vielen Alternativen zur Arbeitszeitreduzierung“ werde Jobsharing auch ein Nischenphänomen bleiben teilen wir keinesfalls. Eher das von Professor Jutta Rump, Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule Ludwigshafen die zu Wort kommt: „Viele reden drüber, aber keiner macht es. Wir haben eine Lücke zwischen Reden und Handeln. (…) Und: das Ganze ist nicht kostenneutral.“ Sehen wir ähnlich, darum gibt’s uns ja. Also ab nach Köln, zur Zukunft Personal, wo Frau Rump im Rahmen Ihres Engagements für die Initiative neue Qualität der Arbeit einen höchst hörenswerten Vortrag zum Thema Zeitkonflikt hielt, und anschließend ein Gespräch vereinbart. Thema: ist Jobsharing in der Nische wirklich richtig aufgehoben?

Über Zeit-Zielkonflikte und passende Arbeitsmodelle

Yannic: Ein Teil an Ihrem Vortrag zum Thema Zeitflexibilität hat mir besonders gut gefallen: dass Sie die Herausforderungen nicht theoretisch beschreiben, sondern an einem persönlichen, handfesten Beispiel dargestellt haben – Ihr Team befindet sich in einem wichtigen Projekt, und eine Mitarbeiterin will Arbeitszeit reduzieren, um reiten zu lernen.

Jutta: Stimmt, danke. Unsere Richtschnur ist, zu nichts zu raten, was wir nicht selber ausprobiert haben.

Yannic: Und es ist mal nicht das ewige Beispiel von jungen Eltern, die reduzieren wollen.

Jutta: Ja, das ist auch ein Thema, was selten offen angesprochen wird. Wir haben aus der lebensphasenorientierte Personalpolitik nämlich gelernt, dass der Zeit-Zielkonflikt in familiären Fällen anders bewertet wird. Das ist nachvollziehbar, aber ungerecht. Wir sollten das Bedürfnis von Mitarbeitern, zeitlich flexibel zu sein, eigentlich frei bewerten. Das ist aber schwer. Weil wir eine Schere im Kopf haben. Das muss man offen ansprechen, wenn Modelle zur Flexibilisierung strategisch geplant und eingeführt werden sollen. Man sieht es gut an der derzeitigen IG-Metall Forderung nach der 28-Stunde Woche: da wird auf ganz unterschiedliche Bedürfnisse hingewiesen. Aber es steht auch im Vorschlag: Ausgleichszahlungen gibt’s in Fällen, in denen der familiäre Kontext das erfordert.

Yannic: Ja, wir stellen bei Kunden genau wie in unserer Community auch immer wieder fest, dass diese Bedürfnisse viel weiter verbreitet sind als angenommen. Was ironischer Weise aus Arbeitgebersicht nicht nur ein Problem ist. Sondern auch ein Ausweg. Denn die bekannten Flexibilisierungs-Bedürfnisse der jungen Eltern – heißt, meistens: Mütter – löse ich ja schwerlich nur in dieser Peer-Group. Was sind denn aus Ihrer Sicht praktische Modelle, um diesem Zeitkonflikt zwischen den Arbeitnehmer- und -geber Anforderungen gerecht zu werden?

Jutta: Wir führen im Moment Pilot-Projekte zur lebensphasenorientierten Personalpolitik und zur Zeitpolitik durch. Da ist ein Schwerpunkt das Langzeitkonto. Und das Thema Flexibilisierung des Ortes ist auch ein Dauerbrenner. Zudem lässt sich die Zeit auch über das Modell der Vertrauensarbeitszeit flexibilisieren – wobei sich das mit Langzeitkonten wieder beißt, weil sie Zeiterfassung erfordern. Meine persönliche Erfahrung ist, dass wir noch immer alle Bedarfe innerhalb des Teams lösen konnten. Das ist aus meiner Sicht eine wichtige Führungsaufgabe: die individuellen Situationen der Teammitglieder kennen, und die Entscheidung darüber, wer gerade in die Bresche springt und wer gerade mehr Zeit braucht, ans Team delegieren. Daraus wird dann eine Verhandlung in der Gruppe. Denn das Team muss die gemeinsame Zeit und die Verantwortungen richtig einschätzen, damit alle vertrauensvoll daran arbeiten können.

Yannic: Das ist auch bei der Implementierung und Skalierung von Jobsharing ein wichtiger Faktor. Insgesamt sehe ich da viele Überschneidungen zu unserem Thema. Wir erachten Jobsharing ja auch nicht als Allheilmittel. Und stellen unseren Unternehmenskunden auch klar in Aussicht: wenn Ihr das Modell nicht braucht, oder es zu Euren Zielen nicht passt, dann sagen wir das auch. Andererseits: Aspekte wie Selbststeuerung und eigenständig gelebte Führungsverantwortung überzeugen schon viele Entscheider von Jobsharing, und zwar gerade jene in großen Organisationen. Denn dort ist es oft noch ein weiter Weg bis zu einer flächendeckenden Teamdynamik, wie Sie sie eben beschrieben haben. Da kann Jobsharing als Brücke fungieren. Und nebenbei Stellen, deren Aufwand und Verantwortung ein hohes Stundenkontingent fordert, trotzdem zeitlich flexibilisieren…

Jutta: Ja, das ist richtig. Gleichwohl sollte man fairer Weise sagen: kostenneutral lässt sich Jobsharing nicht gestalten. Wenn Produktivität, Leistung oder Qualität gesteigert werden, können die Mehrkosten kompensiert werden.

Über Nutzen und Kosten von Jobsharing

Yannic: Werden Sie eigentlich oft nach diesem Kosten-Faktor gefragt?

Jutta: Ich beschäftige mich lange mit dieser Thematik. Auf Kongressen wird Jobsharing häufig dermaßen simpel dargestellt, dass für mich offensichtlich ist: viele haben Jobsharing nie in der Realität eines Unternehmens über längere Zeit ausprobiert. Sonst würden sie die Überlappungszeiten am Anfang und den Aufwand von Übergaben klarer darstellen. Es braucht eine Verbindlichkeits- und Konsequenz-Kultur, die nicht per se gegeben ist. Der   Kommunikations- und Kooperationsmodus eines wirklich performanten Tandems muss perfekt sein! Die Beiden müssen auch für ihre Umgebung wie aus einem Guss wirken. Zusätzlich muss die Organisation so entwickelt sein, dass sie das auch annimmt. Als ob man einfach 2 Leute auf eine Stelle setzen könnte, mit Teilzeit-Verträgen, und dann machen lassen. Und sie sind dann auch noch wie von selbst produktiver!

Yannic: Stimmt, uns stört diese „das regelt sich alles bottom up von selbst“-Darstellung auch. Die Themen, die Sie nennen, identifizieren wir in Abstufungen auch stets bei Unternehmenskunden. Und sagen auch ganz klar: wenn es langfristig was werden soll müssen wir die anpacken!

Jutta: Und abgesehen davon, dass man das Ganze auch strategisch anpacken muss – der Zugang einzelner Mitarbeiter zu so einem Modell wie Jobsharing darf nicht auf Basis „Nasenfaktor“ entschieden werden. Daneben spielen die Kosten eine Rolle. Meiner Einschätzung nach bedeutet eine wichtige Vollzeitstelle in der Regel im Jobsharing 1,2 Stellen. Und wenn dieses Duo perfekt funktioniert, hat man dann eine Produktions- und Leistungs- und Motivationssteigerung. Und die kann die Mehrkosten gegebenenfalls ausgleichen – und eventuell deutlich übertreffen.

Yannic: Auch da sind wir auf einer Linie. Genau dazu beraten wir unsere Kunden, ganz handfest. Um nochmal zu der Kosten-Nutzen-Rechnung zurück zu kommen: Selbststeuerung, Produktivität, positive Auswirkung auf die Team- und idealer Weise Organisationsstruktur und -kultur hatten wir. Employer Branding und neue Recruiting-Kanäle sehen wir eindeutig auch. Trotzdem ist oft ein wichtiges Entscheidungskriterium eben doch, einzelne Mitarbeiter halten zu wollen. Soweit, so gut – aber oft vermissen wir da den Blick auf unternehmerische Mehrwerte über diesen Einzelfall hinaus. Welche Faktoren muss oder kann man noch in die gesamte Rechnung einbeziehen?

Jutta: Wir haben das für die lebensphasenorientierte Personalpolitik mal großflächig kalkuliert. Und wenn es eine wirklich quantitativ begründete Entscheidung pro oder contra die Einführung eines solchen Modells sein soll, dann landet man immer bei Opportunitätskosten-Berechnungen. Was, wenn wir’s nicht tun? Wenn die Person geht – wie lange suchen wir in diesem Bereich des Arbeitsmarktes? Wie lange dauert die Einarbeitung; Wann ist derjenige sein Gehalt numerisch wert? Was für Mehrkosten durch Krankenstände habe ich in dem Bereich?

Yannic: In der zweiten Runde erweitern wir so eine Bilanz mit unseren Kunden dann oft noch um eine Verlustrechnung : was, wenn wir ein Tandem gehabt hätten, wie steht es um immaterielle Vermögensgüter – also Loyalität, Motivation usw. – und inwiefern kann ich eine Leistungssteigerung auf der Stelle tatsächlich von vornherein abschätzen? Das zumindest so präzise wie möglich zu taxieren ist oft wichtig. Für viele Kunden alleine schon, weil sie intern demonstrieren, dass sie kritischen Fragen zur Messbarkeit nicht ausweichen.

Jutta: Auch in einem Praxis-Projekt zur lebensphasenorientierten Personalpolitik konnten ökonomische Effekte identifiziert werden. Nur: zunächst bleibt es häufig ein Blick zurück, denn es werden Zahlen, Daten, Fakten aus der Vergangenheit und Gegenwart zugrunde gelegt. Mit anderen Worten: die Basis für die Investitionsrechnung baut in der Regel nicht auf Zukunftswerten auf. Sobald ich in die Zukunft blicke wird’s aus Forschungs-Sicht explorativ, und damit qualitativ.

Über die Implikationen von Jobsharing für Arbeitgeber & -nehmer

Yannic: Zusammen ergibt das doch eine solide Entscheidungsgrundlage für den Arbeitgeber. Und dann kann man ja mit den Interessenten verhandeln.

Jutta: Es darf eben auch keine Einbahnstraße sein! Der Arbeitgeber geht auf die andere Seite zu, wenn er den Schritt Richtung Jobsharing macht – also müssen die Arbeitnehmer das ebenso tun. Die Rahmenbedingungen müssen für beide Seiten passen, und akzeptziert sein. Die Sozial-Kompetenz des zukünftigen Tandems muss festgestellt sein, individuell muss großes Organisationstalent und Selbstmanagement vorhanden sein, damit die Selbststeuerung wirklich funktioniert. Und Entscheidungen und Entwicklungen des anderen muss man wirklich loyal mittragen – bis hin zum Fall einer Tandemauflösung. Das sind maßgebliche Anforderungen an die Arbeitnehmer, und dafür geeignet zu sein und verbindlich daran zu arbeiten, sollte festgeschrieben werden, in Zusammenarbeit mit der Personalentwicklung. Quasi ein Grundgesetz für die Jobsharer.

Yannic: Mir gefällt, wie ernst Sie das nehmen – das war auch schon mein Gedanke bei dem DPA-Artikel. Klasse! Ich hoffe, bei Ihnen wird mal ein Tandem gebildet. Denn dann wäre es wahrscheinlich ein sehr effizientes!

Jutta: Danke! Wir haben bisher immer andere individuellen Lösungen schaffen können. Aber ich kann mir das durchaus gut vorstellen. Wobei: vielleicht habe ich im Rahmen eines Projektes bereits Mitarbeiter, die sich als Tandem sehen, und ich habe es noch nicht gemerkt…Denn meine Mitarbeiter arbeiten wirklich hochgradig selbstgesteuert und agil. Das muss ich mal überprüfen (lacht).

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