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Svenja Christen

Doppelte Power für Hamburgs obdachlose Menschen

Die kalte Jahreszeit steht in den Startlöchern. Umso wichtiger wird wieder einmal die Arbeit, die Sonja und Yvonne in Hamburg seit vielen Jahren im Projekt „Mitternachtsbus“ machen – und das als Jobsharing-Tandem. Bevor sie bald getrennte Wege gehen, hatten wir die Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen. Dabei haben sie uns unter anderem verraten, warum sie so oft verwechselt werden und wie sie mit Meinungsverschiedenheiten im Tandem umgehen. Außerdem haben sie aus ihrer langjährigen Zusammenarbeit ein paar wertvolle Tipps für Jobsharing-Interessierte parat. Aber lest am besten selbst…!


Tandem: Yvonne (links) und Sonja (rechts)

Erstmal vielen Dank, dass ihr die Zeit für ein Gespräch gefunden habt. Stellt euch doch gerne erstmal kurz vor.

Yvonne: Ich bin Yvonne Neumann, 45 Jahre, und ich arbeite beim Diakonischen Werk in Hamburg seit gut 15 Jahren im Projekt „Mitternachtsbus“ als Projektleitung.


Sonja: Ich bin Yvonnes Kollegin Sonja Norgall. Ich bin 49 Jahre alt und mach das hier seit 13 Jahren.



Könnt ihr uns zum Einstieg einen Einblick in das Projekt Mitternachtsbus geben? Was ist die Idee des Projekts und wie funktioniert das Ganze?

Yvonne: Der Mitternachtsbus ist ein Projekt der Obdachlosenhilfe in Hamburg, das 1996 vom damaligen Landespastor gegründet worden ist. Die Idee war, dass keiner auf Hamburgs Straßen erfrieren soll, gerade im Winter. Es ist also als eine Art Winterschutzprogramm für obdach- und wohnungslose Menschen gestartet worden. Das läuft so, dass Ehrenamtliche in der Nacht durch die Hamburger Innenstadt fahren und Lebensmittel, Decken, aber auch Gesprächs- und Hilfsangebote an Bord haben und die an die Menschen verteilen, die nachts auf der Straße übernachten. Dafür haben wir derzeit ungefähr 140 Ehrenamtliche im Projekt, die regelmäßig in Vierer-Teams mit einem Bus durch die Hamburger Innenstadt fahren. Das heißt es geht zum einen um eine Notversorgung in der Nacht, es geht aber auch darum Kontakt zu halten zu den Menschen und ihnen weiterführende Hilfsangebote anzubieten.


Sonja: Das Ganze ist zudem 100% spendenfinanziert, das heißt auch die beiden einzigen hauptamtlichen Stellen von Yvonne und mir sind aus Spendengeldern finanziert.

Ihr seid also das hauptamtliche Projektleitungsteam – und das im Jobsharing-Modell. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Sonja: Ursprünglich was das Ganze hier mal eine halbe Stelle im Ehrenamt, die dann aber über die Jahre immer weiter ausgebaut wurde. Als Yvonne das erste Mal schwanger war, habe ich ihre damals volle Stelle vertreten. Und dann hat sich einfach rausgestellt: Da ist mehr Arbeit und Bedarf, als eine Stelle abdecken kann. Als Yvonne wiederkam, haben unsere Ehrenamtlichen für uns Unterschriften gesammelt, damit wir beide zusammen weitermachen können – und dann wurde die Position aufgestockt auf 1,5 Stellen, wovon ich eine und Yvonne eine halbe besetzt. Es ist aber weiterhin so, dass es eigentlich eine Stelle, also die Projektleitung ist. Und das zu zweit zu gestalten ist die besondere Herausforderung. Weil man als eine Person wahrgenommen und angesprochen wird von außen und man sich deswegen viel verständigen muss, damit man die gleiche Haltung, die gleiche Meinung, das gleiche Wissen hat und nach außen hin wie eine Person agieren kann. Wir haben eigentlich im Wesentlichen auch nur ein Büro und einen Schreibtisch, ein Telefon, ein Diensthandy… aber das spielt sich ein über die Jahre.


Euer Tandemmodell ist optimal auf eure Lebenssituationen ausgerichtet, sodass ihr ein super Match ergebt. Könnt ihr dazu etwas mehr erzählen?

Sonja: Das Thema Arbeitszeiten kommt bei uns gut hin, weil Yvonne zwei Kinder hat und deswegen früh anfängt und dann am Nachmittag geht. Ich habe wiederum keine Kinder, fange deswegen meistens mittags an und kann daher auch mal später am Abend eine Tour mitfahren oder am Wochenende einen Einsatz haben. Das passt ziemlich gut zusammen. Herausfordernd war es aber am Anfang, die Ehrenamtlichen dazu zu bekommen, dass sie unsere Namen auseinanderhalten. Wir sehen uns vom Äußeren her auf den ersten Blick etwas ähnlich und Yvonne und Sonja liegt teilweise auf der gleichen Synapse bei den Ehrenamtlichen im Kopf – wir werden da oft verwechselt. Da zu vermitteln, dass wir zwei verschiedene Menschen sind mit verschiedenen Hintergründen und Interessen…


Yvonne: Auf der anderen Seite ist das natürlich eigentlich auch ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass wir in vielen Sachen einfach so identisch sind mit dem, was wir transportieren, dass man nicht das Gefühl hat: Ich muss mich jetzt an die eine Person oder jetzt an die andere Person wenden. Aber die Ehrenamtlichen haben natürlich auch ihre Interessen im Projekt und schauen, wie sie die am besten durchsetzen. Da kann es passieren, dass man so ein bisschen in diese „Papa-Mama-Nummer“ reinkommt, also dass eine was erlaubt, was die andere sozusagen verbietet. Da muss man wirklich gucken, dass man da mit einer Stimme spricht. Und dann kann es natürlich eine Herausforderung sein, wenn man eine abgestimmte Meinung vertreten muss, wo man aber nicht zu 100% dahintersteht.


Das heißt ganz konkret?

Yvonne: Also bei den meisten Themen stimmen wir uns im Vorfeld ab – oder besprechen im Zweifel Dinge nach.


Sonja: Genau. Also es gibt einen Rahmen bei uns, wie Sachen zu laufen haben, was unsere Idee ist, unsere Grenzen, unsere Möglichkeiten – und das ist eigentlich gesetzt. Innerhalb dieses Rahmens interpretieren wir dann die Anfragen und Ideen, die von den Ehrenamtlichen kommen, und gucken: Was können wir möglich machen?

Dann wägen wir natürlich ab, welche Aufgaben wir beide übernehmen und wann wir uns bewusst stärkenorientiert aufstellen. Zum Beispiel bei der Technik ist Yvonne unsere Expertin, Interviewanfragen hingegen mache ich gerne. Da versuchen wir, Doppelungen zu vermeiden.


Yvonne: Einige Sachen ergeben sich auch einfach durch die Arbeitszeiten. Dadurch, dass ich zu den Telefonzeiten meistens im Büro bin, nehme ich dann natürlich hier die Telefonate entgegen und mache auch viele Verwaltungssachen, die im Büro stattfinden müssen. Arbeitskreise wiederum finden häufig in den Nachmittagszeiten statt, sodass Sonja diese meist wahrnimmt. Und dann gibt es bestimmte Termine, die wir ganz klar beide wahrnehmen müssen, wenn es um die Teamsitzung der Ehrenamtlichen geht z.B.. Da müssen wir beide auftauchen, damit wir beide auch im Kontakt mit den Menschen bleiben.


Wenn bestimmte Themen dann eher bei einer Person liegen, wie organisiert ihr die Übergabe der Informationen?

Sonja: Wir haben ein Telefonbuch, in dem alle Gespräche notiert werden. Unsere E-Mails haben wir mit Farben markiert, je nachdem, ob es ein gemeinsames Thema ist oder ein Thema, was jeweils nur eine von uns betrifft. Zudem haben wir meistens mittags einen Überschnitt, also dass ich zum Beispiel um 12 komme und Yvonne um 14 Uhr geht. Dadurch haben wir dann zwei Stunden, um parallel an Themen zu arbeiten und uns dabei zu unterhalten und auszutauschen.


Yvonne: Und für grundsätzliche Sachen setzen wir uns auch in regelmäßigen Abständen und mit Ruhe zusammen, zum Beispiel für den Teamaufbau. Genauso für einen Rückblick und Ausblick am Anfang des Jahres: Was ist im letzten Jahr gut gelaufen und was vielleicht auch nicht.


Sonja: Ich erlebe das als sehr entlastend, dass wir das zu zweit machen, weil es teilweise wirklich nicht leicht ist, eine klare Meinung zu finden oder sich eine Lösung auszudenken. Da ist es wirklich gut, dass wir da von zwei Seiten aus drauf gucken können.


Yvonne: Gerade wenn es auch darum geht, Personen und Teamdynamiken und dergleichen einzuschätzen. Denn nur, weil ich mit einer Person nicht so super klarkomme oder etwas nicht gut finde, heißt das nicht, dass sie nicht gute Arbeit im Team und im Projekt leistet. Und da immer wieder zu unterscheiden und zu gucken: Wo ist da eigentlich das Problem? Da ist es wirklich gut, wenn man sich da drüber austauschen kann.


Ein kleiner Blick in die Glaskugel: Würdet ihr sagen, das Projekt "Mitternachtsbus" wäre ein anderes, wenn es nur von einer von euch in Vollzeit geleitet würde?

Sonja: Es wäre stressiger, wenn es nur von einer Person geleitet würde. Denn du kannst nicht entspannt im Urlaub sein und du hast auf jeden Fall immer Überstunden. Wenn man mit den Leuten eine Beziehung pflegen möchte, also 140 Ehrenamtliche im Team plus Leute von außen plus Spender plus Kollegen… Das ist aus meiner Sicht nicht machbar mit einer Stelle. Deswegen finde ich ist das Projekt auf jeden Fall entspannter aufgestellt, wenn wir mindestens anderthalb Stellen haben, gerne auch zwei.


Bald geht nach vielen Jahren der Zusammenarbeit euer Jobsharing-Tandem dem Ende entgegen. Gibt es etwas ganz Spezielles, das ihr jeweils aus der Zeit mitnehmt?

Sonja: Ich bin vor allem dankbar, dass wir uns von den Arbeitszeiten und Persönlichkeiten her gut ergänzt haben. Ich habe viel von Yvonne gelernt in den letzten Jahren. Ich war sehr perfektionistisch am Anfang und baue das jetzt nach und nach ab. Unterm Strich ist es gut gelaufen und deshalb find ich es schade, dass Yvonne geht. Wir werden sehen, wie es sich weiterentwickelt – denn die Stelle wird in Zukunft weiterhin im Jobsharing besetzt.


Yvonne: Eine wichtige Erkenntnis für mich: So eine Jobsharing-Geschichte hat auf jeden Fall noch mal einen anderen Arbeitsanspruch. Der Austausch miteinander und die enge Zusammenarbeit… Das ist was anderes, als wenn man einfach „nur“ mit Kollegen in einem Team zusammenarbeitet. Deshalb bin ich gespannt, wie das in meiner neuen Stelle wird, weil ich da keine Tandempartner:in mehr haben werde. Und das schätze ich sehr an Sonja, dass es da jemanden gibt zum Austausch. Da sind wir in den letzten Jahren einfach sehr gut zusammengewachsen – und das wird jetzt wegfallen. Das bringt durch weniger Absprachen sicherlich gewisse Freiheiten, hat aber auch den Nachteil, dass man wirklich alleine entscheiden muss und niemanden zum Austausch hat, der so tief im Thema ist. Insofern blicke ich froh auf die Zeit zurück mit Sonja – freue mich jetzt aber auch auf die neue Arbeit, die da auf mich wartet.


Noch eine Frage zum Abschluss: Habt ihr einen ultimativen Tipp für alle, die die Arbeit im Jobsharing in Betracht ziehen?

Sonja: Dass man einfach nicht alleine alles entscheiden und gestalten kann, sondern dass man es wirklich zu zweit macht. Und dabei kommt es sehr darauf an, ob man miteinander auf der gleichen Welle ist. Wichtig ist auch, dass man gegenseitig schätzt, was der jeweils andere mit einbringt. Und dass man auch räumliche Möglichkeiten hat, also man braucht schon auch irgendwie die Technik und das Büro und so, um das Modell gut umsetzen zu können.


Yvonne: Genau. Ich würde auch sagen, es ist auch ein Stück weit Arbeit an der Zusammenarbeit nötig. Man darf das einfach nicht unterschätzen. Also z.B. auch von Arbeitgeberseite aus. Denn es ist nicht so, dass ich da einfach zwei Personen in ein Büro stecke und es dann läuft, sondern es bedarf wirklich auch Unterstützung. Wir haben jetzt in den letzten Jahren z.B. auch immer Supervision gehabt. Das war sehr hilfreich für uns, dass man Probleme oder Themen in einem relativ neutralen Rahmen klären kann, um danach wieder gut weiter arbeiten zu können. So ein Jobsharing ist halt kein Selbstläufer, bringt aber für alle Beteiligten wirklich Mehrwert.


Ganz herzlichen Dank für eure Zeit und alles Gute für eure jeweilige Zukunft!

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